Herausforderungen für die europäischen Unternehmen

Die neue Dual-Use VO wurde am 11.06.21 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Es folgt eine erste Analyse, welche Auswirkungen die Änderungen auf die Wirtschaft haben werden und auf was sich Unternehmen vorbereiten müssen.

Am Beginn der Reform der europäischen Dual- Use-Verordnung stand der Anspruch, einen verstärkten Menschenrechtsschutz in die Ausfuhrkontrolle zu integrieren. Die deutsche Industrie, als eine der Hauptbetroffenen, stand diesem Vorhaben nie entgegen und hat als zivilgesellschaftlicher Partner immer versucht, Brücken zwischen den verschiedenen Interessensgruppen zu bauen. Dabei hat die deutsche Industrie mehrfach Kritik geübt und in Positionen verschriftlicht, welche gesetzgeberischen Möglichkeiten aus Industriesicht sinnvoll erscheinen. Für die Industrie war dieses Ringen selbstverständlich, immerhin war die Reform der Dual-Use-Verordnung eine Reaktion auf die schweren Menschenrechtsverbrechen während des arabischen Frühlings im Jahre 2010. Der Hauptstreitpunkt bei der Reform der Dual- Use-Verordnung war aus deutscher Sicht nicht ob, sondern lediglich wie die Ausfuhrkontrolle zum Schutz vor massiven Menschenrechtsverletzungen sinnvoll beitragen kann.
Den Auftakt machte die EU-Kommission mit einem Vorschlag, der in Fachkreisen mit Entsetzen aufgenommen werden musste. Menschenrechte sollten weitgehend mit den Mitteln der verwendungsbezogenen Ausfuhrkontrolle (Catch-All-Kontrollen) geschützt werden. Dazu passend wurde rhetorisch immer wieder darauf verwiesen, die Wirtschaft müsse mehr Verantwortung übernehmen. Das zugrunde liegende Problem wurde schnell klar: fehlende Kenntnis und Verständnis bei Teilen des Europäischen Parlamentes und in der Europäischen Kommission. Im Laufe der Jahre wurde auch in Hintergrundgesprächen immer wieder klar, dass Verantwortliche in der Kommission und im Parlament kaum Vorstellungen davon hatten, dass die deutsche Ausfuhrkontrolle weltweit ihresgleichen sucht – und zwar behördlich wie unternehmerisch.
Glücklicherweise haben es die Mitgliedsstaaten im Rat abgelehnt, möglichst weite Teile der Exportkontrolle zu privatisieren und Souveränitätspflichten auf die Wirtschaftsbeteiligten abzuwälzen. Der Kompromiss zur neuen Dual-Use- Verordnung führte sicherlich zu einem Aufatmen in der europäischen Wirtschaft. Viele der Ideen und konkreten Vorschläge der EU-Kommission und des Europaparlaments sind nicht beschlossen worden. Insbesondere die geplante Ausweitung von Catch-All-Klauseln im Bereich der Menschenrechtsverletzung und der Terrorismusverhinderung wären kaum realistisch umsetzbar gewesen.
Unternehmen haben keinen Zugang zu staatlichen Nachrichtendiensten und Spionagetätigkeiten im Ausland. Es muss zentrale Rolle des Staates bleiben, solche Erkenntnisse zusammenzutragen. Bei Bedarf muss der Staat informieren und eingreifen. Zu keinem Zeitpunkt im Reformprozess konnte klar dargelegt werden, wie Unternehmen über ihren bestehenden Kenntnisstand hinaus Informationen über eine mögliche Nutzung ihrer Produkte für Menschenrechtsverletzungen oder zur Unterstützung des Terrorismus erlangen könnten.
Unternehmen müssen sich nun konzentriert auf die Änderungen der Gesetzesnovelle einstellen und sich entsprechend darauf vorbereiten.
Generell überwog die Befürchtung in der Wirtschaft, dass durchaus sinnvolle Vereinfachungen in Deutschland durch eine EU-weite Regelung eingeschränkt oder bürokratisiert werden könnten. In diesem rechtspraktischen Sinne war für Unternehmen das gesetzgeberisch normative Argument von Wettbewerbsnachteilen als Rechtfertigung immer weiterführender Vorschriften wenig überzeugend. Die Regularien sind grundsätzlich einheitlich. Dass sich die Unterschiede hauptsächlich in den Verwaltungsverfahren in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausgewirkt haben, ist ein Problem, das sich kaum mit strengeren Regeln beheben lässt. Für Unternehmen, die sich gegenüber europäischen Konkurrenten benachteiligt fühlen sind hingegen alle praktischen Maßnahmen zur Vereinheitlichung und damit Chancengleichheit nicht nur begrüßenswert, sondern zu Recht auch ein Erfordernis. Hier bleibt abzuwarten, wie das Konsultationsverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten einen positiven Beitrag leistet. Diese sollen durch die Einhaltung bestimmter Fristen zu einer schnelleren Bearbeitung von Anträgen führen. Gleichzeitig sollen dabei Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im Rahmen des Datenaustauschs gewahrt bleiben und damit der Datenschutz gestärkt werden.

Änderungen der neuen Dual-Use-Verordnung

Ganz ohne neue Catch-All-Regeln ging es dann doch nicht und diese stellen voraussichtlich die wichtigsten Änderungen für die Praxis dar.

Grundsätzlich geht es um folgende Fälle:
• Nicht gelistete Güter der Abhör- und Überwachungstechnik, die u.a. Menschenrechtsverletzungen unterstützen
• Handels- und Vermittlungsgeschäfte in Bezug auf militärische Endverwendung
• Durchfuhren in Bezug auf militärische Endverwendung
• Technische Unterstützung in Bezug auf militärische Endverwendung
• Nicht gelistete Güter, die in anderen Mitgliedstaaten national gelistet sind und eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen Im Einzelnen können diese folgende Auswirkungen für die Wirtschaft der EU haben.

Relativ neutral beurteilt die Industrie weitere Änderungen für die Allgemeingenehmigungen durch die Einführung von Eilverfahren sowie die Öffnungsklausel für nationale Allgemeingenehmigungen. Die Möglichkeit der EU-Kommission, beispielsweise Erweiterungen von Bestimmungsländern und Gütern ohne normales Gesetzgebungsverfahren vorzunehmen und die Öffnungsklausel für die nationalen Allgemeingenehmigungen explizit mit aufzunehmen, ist sicherlich sinnvoll. Gleiches gilt auch für die Stärkung des Datenschutzes und damit des Schutzes der Betriebs-/Geschäftsgeheimnisse auch in Verbindung mit mehr Transparenz durch den Gesetzgeber. Positiv zu bewerten ist die neue Genehmigungsart für Großprojekte mit Laufzeiten von vier Jahren oder länger. Weitaus kritischer bewerten viele Unternehmen nun die Ausweitung des „soft laws“ durch neue Leitfäden und Empfehlungen seitens der EU- Kommission und der EU- Mitgliedstaaten. Wenn diese auch in den Erwägungsgründen zur Unterstützung der Ausführer dienen soll, hat die Auslegung sowohl der Inhalte als auch die Anwendbarkeit in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen geführt.

Fazit

„Es hätte besser kommen müssen“. Die Reform hat nach über vier Jahren Verhandlungsdauer kaum echte Verbesserungen gebracht – nicht für die Wirtschaftsbeteiligten und auch nicht für einen verbesserten Menschenrechtsschutz. Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen konnte nur unter Inkaufnahme eines Bruchs mit der bisherigen Nicht-Verbreitungspraxis sichergestellt werden. Und am Horizont stehen weiterhin dunkle Wolken: Die neue Dual-Use-Verordnung verspricht weiterhin Brennglas eines Konfliktes zu bleiben, bei dem versucht wird, durch weitere Privatisierungsversuche die Defizite in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik auszugleichen. Und so steht – trotz der politischen Einigung im letzten November – im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen für den Bundestagswahlkampf 2021: „Wir zielen auf ein europäisches Moratorium für die Ausfuhr, den Verkauf und die Weitergabe von Überwachungsinstrumenten an repressive Regime. Entsprechende Schutzklauseln wollen wir in der deutschen wie europäischen Exportkontrolle verankern.“ (Bündnis 90/ Die Grünen, Deutschland. Alles ist drin – Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021, S. 124, www.reguvis.de/ cms/gruene (eingesehen am 7.4.2021)). Mehr als ein Jahrzehnt ist seit der gewaltsamen Niederschlagung der Bewegungen des Arabischen Frühlings vergangen. Die eindimensionale und strategielose Fokussierung auf die Wirtschaftsbeteiligten zur Erfüllung genuin hoheitlicher Aufgaben hat jedoch politisch immer noch Konjunktur.
Das ist trotz des Aufatmens nach dem Abschluss dieser Reform eine schlechte Nachricht sowohl für die Ausfuhrkontrolle als auch für einen engagierten Menschenrechtsschutz.

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der AW Prax unter diesem Link.

Unter diesem Link finden Sie das Amtsblatt der EU.

Frank Görtz
Frank GörtzGeschäftsführer